von Karin
Immer wieder war es diese Stelle am Hals, gleich unterhalb des Ohres, des Kieferknochens. Ganz zarte Haut mit winzigen Flaumhärchen und ein warmer Duft, in den ich mich reingraben wollte. Einfach versinken und irgendwann wieder auftauchen, wie neugeboren, angstlos, mitten in der Welt und dabei nicht allein.
Ich sei so zärtlich, sagte sie. Hat wohl nicht verstanden, nicht gefühlt, dass das ein Versuch war, sie zu erreichen, ihr Herz zu öffnen, sie zu entblößen von all den Glasmauern. Einen Pfad freiküssen unter die Haut. Ich wollte sie nackt spüren. Oft trug sie keine Kleider, aber das war nicht genug. Sie konnte so unbefangen, stolz sein in ihrer Nacktheit, unberührbar, jeder tastende Blick verwandelt in ein Streicheln. Umhüllt von Begehren und ganz für sich. Modell stehen macht Spaß, sagte sie mit leuchtenden Augen.
Erst war ich scheu, wenn wir zusammen unter Menschen waren. War es gewöhnt, dass mich einige neugierige Blicke treffen, wenn ich einen Mann küsse, seine Hand halte. Dass in diesen Blicken Sehnsüchte schimmern, Erinnerungen, Neid, Konkurrenz, was-will-denn-die-mit-dem oder aber-der-sieht-doch-viel-zu-gut-aus-für-die. Aber dies war anders. Präsentierteller, mitten in der Großstadt. Eine Frau und noch eine, Hand in Hand, na ja, Freundinnen; aber versunken in einer Ecke des Restaurants, mit kleinen Gesten, Küssen füreinander, diese Aura, bei der zu spüren ist, dass sie mehr teilen als erlaubt, immer noch muss es erlaubt werden…. Feuchtglänzende Augen, die uns schon für den eigenen Film im Kopf benutzten, durchaus auch Frauen; manchmal Unsicherheit, hin und wieder ein Blick wie ertappt, vielleicht bei eigenen Lustträumen. Zwei Frauen, die zärtlich miteinander sind, da scheint Distanz nicht möglich.
Nur wenig später änderte sich das. Ich wollte, dass unser Wir so bleibt, für lange, und sie in der Bar zu streicheln oder einfach hemmungslos mit ihr zu knutschen wie das Pärchen zwei Tische weiter, auch die nicht mehr im Teeniealter und offensichtlich ebenso frisch verliebt, das bedeutete auch Normalität, Unhinterfragbarkeit. Ich wollte so tief eintauchen in uns, dass Zweifel, Distanz ganz einfach keinen Platz mehr haben. Und für Momente schien es möglich. Mit meiner Kraft wollte ich einen Sog schaffen, der sie zu mir reißt und an mir festspült, hingegeben. In der Angst vor Zweifel schon Verzweiflung.
Natürlich sind es tausend kleine Zeichen, die den Rückzug begleiten. Auch wenn sie sagt, dass sie nicht wüsste, was sie will; dass da Gefühle sind für mich und auch für die andere Frau, den Schatten, der uns immer begleitete. Erst schien er mir wie der eines Schatten einer grauen Wolke am Sommerhimmel und später wie der eines Damoklesschwertes. Sie wisse gar nichts im Moment, sagt ihr Mund. Ich habe mich schon vor einiger Zeit entschieden, sagen ihre steifen Hände, wenn sie mich berühren, ihr abgewandter Blick, selbst wenn sie mich ansieht, ohne Feuer in den Augen; sie sammelt schon Erinnerungen.
Es war für mich noch fast ganz neu, diese Weichheit zu spüren, Frauenhaut nicht nur Wange an Wange, mal ein schwesterlicher, mal ein nicht mehr eindeutig schwesterlicher Kuss, Frauengemeinschaft, Frauensolidarität, ohne oder gegen die Männer. Mehr fühlen. Frauen so zart, die Hand folgt sanften Schwüngen vom festen Arm über den warmen Bauch zum kühleren, halbkugeligen Po.
Brüste wie meine und ganz anders, fremd und völlig selbstverständlich. Sie zu küssen, zu schmecken, in mich hineinzusaugen, die Haut um die Nippel immer härter und furchiger. Sie auf meinen spüren, Weichheit und Rundheit aufeinander. Ein anderer Blick auch unterwegs auf all die nackten Fototitten überall. Manche möchte ich anfassen.
Altbekannte Gefühle, da seid ihr ja wieder. Bin ich erregend genug, straff genug, magst du mich ansehen, spüren, schmecken, riechen? Was muss ich verstecken, wie mich hinlegen, präsentieren, küssen, streicheln – was ist richtig, zu wenig, zu viel? Bin manchmal so müde von mir selbst, von den alten Denkgleisen. Und natürlich die alte Hoffnung, die alte Gier: ich trinke ihre erregten Laute, ihren flackernden Blick, all die unmerklichen Bewegungen, wenn sie abhebt. Dann die fast unerträgliche Intimität: darfst du mich sehen, wenn ich mich verliere, meine unbeherrschten Gesten, das verzerrte Gesicht? Bin ich schön für dich in meiner Lust?
Mein Emailfach voll Geschichte. Viele Dutzend kleine Momentbefindlichkeiten, Glückszeichen, Unsicherheiten, Versprechen – ich denke an dich, ich will dich. Zwischen anfänglich atemloser Ungläubigkeit langsam Zeichen des Alltags; aus „etwas wie dies zwischen uns habe ich noch nie erlebt“ wird „schön, dass du da bist, ich genieße uns“. Und fast unmerklich die ersten Schritte seitwärts – oder schon zurück? Hab so viel zu tun, muss mich auf den Unterricht vorbereiten, hab heute wahrscheinlich keine Zeit; nein, morgen weiß ich noch nicht. Ich kenne das. Es legt in mir einen Schalter um: Angst, Bemühen, festhalten wollen. Noch mehr Liebe, Verständnis, Interesse. Aber ein Band ist nur so stark wie die schwächste Stelle, und ich kann diese Stelle nicht mehr einschätzen. Ist sie tatsächlich schon verwittert, kann ich durch meine Angstbrille nicht mehr klar sehen, zerstöre ich mit meiner Unsicherheit, was ich schützen will? Lass ihr Raum, sagen die Freunde; du musst auch mal nein sagen, dich unerreichbar machen; nur, was schwer zu haben ist, ist begehrenswert. Ist mir so fremd. Will keine Spielchen, sondern Offenheit und Nähe, Hingabe. Aber so funktioniert das nicht – die Stimmen der anderen. Haben sie Recht? Muss ich eben einfach mitspielen?
Wer die Regeln einhält, kommt in die nächste Runde, hat die Chance, zu gewinnen. Spielverderber mag keiner. Ist aber doch nicht mein Spiel, sind nicht meine Regeln.
Es ist so beschämend, zu sehen, dass es funktioniert. Bin ich ein Kind im Spiel der Erwachsenen? Oder erwachsen zwischen Kindern? Oder viel näher die Frage: was stimmt nicht mit mir? Ich muss nur ein paar Tage schweigen, und sie ist irritiert. Wo bist du, warum meldest du dich nicht? Bei mir ein Hauch Verachtung: so simpel funktionierst du? Will ich dir wirklich auf diese Weise begegnen? Bist du gut genug für mich? Ich will in deiner Hand sein, aber als Adler, nicht als Spatz; und ohne Taubenschatten auf den Dächern.
Frauenleib. Ich hatte Angst, dass ich mich ekeln würde und der erste Schritt war groß. Schmeckte vorsichtig, probieren mag ich vieles. Neugierig, misstrauisch, den Kopf voller Bilder: Anatomieatlas, Spiegelblicke. Ein herber Geruch, Salz in meinem Mund, ganz weiche, zarteste Fältchen, Feuchtigkeit. Hier ganz glatt, dort ein wenig rauh, dann die tiefe Höhle. Meine Fingerspitzen kennen sie schon.
Auch dies änderte sich. Neues, Befremdendes wurde vertraut, ersehnt. Bald wusste ich, dass ich dies will.
Ich wollte hin zu ihr und nicht weg von meinem Mann. Beides leben, Fülle, Ganzheit. Sie wusste das von Anfang an. Ich schien nur schwer erreichbar, in sicherer Entfernung. Aber ich habe die Distanz nicht eingehalten. Kam ihr näher, als sie erwartet hatte; hatte mehr Zeit, mehr Bedürfnis nach ihr.
Bin ihr jetzt zu nah, zu fern. Soll mit offenen Armen, offenem Herzen vor ihr stehen, warm einhüllend, für sie bereit, jederzeit. Ohne Forderung, ohne Trauer, ohne Schmerz. Aber meine Gefühle für sie sind nicht die einer Mutter. In mir viel Wut, viel Unverständnis – auch.
Ich sehe keine Zukunft für uns – oder? Das Stück Leben mit ihr war mir zu kurz, bin noch lange nicht satt.
Morgen treffen wir uns.